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Verrückt nach Brot

Verrückt nach Brot

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Immer mehr Leute scheuen weder Zeit noch Mühe, um an ihr ideales Brot zu kommen – in ihrer Küche. Die Münchnerin Kerstin Schlegel hat dafür die enorm erfolgreiche Facebook-Gruppe „Breadmania“ gegründet.

Kerstin Schlegel, Gründerin der Facebook-Gruppe „Breadmaniacs“, die regelmäßig Selbstgebackenes auf Facebook und Instagram posten.

Wenn Kerstin Schlegel von einem ihrer vergangenen Wochenenden erzählt, kann es schon einmal kompliziert werden. „Ich habe einen Teig mit 173 TA statt nur 168 verwendet“, erzählt sie aufgeregt, und ihre Stimme überschlägt sich fast, „und nur Hefewasser als Schüttwasser verwendet, weil mit einem reinen Poolish dauert es extrem lang, bis es aufgeht, aber wenn du in eine lange Stückgare gehst, kriegst du da eine Porung und einen­ Geschmack, der ist gigantisch.“

Man könnte meinen, sie erzählt über ihr letztes alchemistisches Experiment oder eine Marsmission. Tatsächlich geht es um die Pizza, die sie am Wochenende gebacken hat. „Nach einer Stunde vorheizen war das Backrohr auf über 300 Grad, ich habe es mit dem Laserthermometer gemessen. Die Pizza war in fünf Minuten fertig, absolut kross, aber nicht verbrannt. Ich fand das unfassbar, dass das in einem normalen Backrohr geht.“

Kreativ backen lernen

Kerstin arbeitet hauptberuflich bei einer­ Münchner Filmfirma, ihre Leidenschaft aber gehört dem Brot. Sie gründete die Facebook-Gruppe „Breadmania“, auf der sich Menschen austauschen, die ähnlich vernarrt sind ins Backen wie sie selbst. Wer Mitglied werden will, muss erst einmal ein paar Fragen beantworten: Was versteht man unter Hydrationsrate? Hast du Erfahrung mit Sauerteig? Wer aber zurückschreibt, dass er keine Ahnung hat und genau das eben lernen möchte, kommt auch hinein. „Wir sind eine Kursgruppe“, sagt Kerstin. „Wir wollen, dass Menschen hier lernen, so naturbelassen und kreativ wie möglich zum perfekten Brot zu kommen.“

Jeden Monat veranstaltet die Gruppe „Challenges“, bei denen ein Brotgenre vorgegeben wird, an dem sich die Mitglieder versuchen und ihre Rezepte posten können – für Anfänger, Fortgeschrittene und Profis. An jeweils einem Wochenende im Monat wird „live“ gebacken, das heißt, 50 Mitglieder machen sich an dasselbe Projekt und laden laufend Fotos von ihren Fortschritten hoch. Alle Brote sollen aus Sauerteig und ohne „Angsthefe“, wie die Bäckerhefe hier heißt, gebacken werden. Sie sollen möglichst lange Garzeiten haben – Kerstin gärt ihre Brote mindestens zwölf, oft auch 36 Stunden – und sie sollen frei sein von jeglichen Backhilfen und Zusätzen, also nichts enthalten außer Mehl, Wasser, und Salz – mit Ausnahme des gelegentlichen Früchte- oder Gewürzbrotes.

Das Konzept kommt an: „Breadmania“ wurde 2017 von 50 Leuten gegründet, heute hat es 1.600 Mitglieder, an manchen Tagen bewerben sich bis zu 50 neue Leute. Das ist zwar gar nicht so viel im Vergleich zu Heimbäckerszenegrößen wie „Angebacken“ mit mehr als 10.000 Mitgliedern – dafür sind die Breadmaniacs höchstaktiv: Wer nicht regelmäßig postete und sich an den Backaktivitäten beteiligte, flog bis vor kurzem wieder raus. Kerstin hat bereits mehr als 800 Mitglieder entfernt, mittlerweile sind die Gruppenregeln aber etwas gelockert geworden.

Lange gegangen

Die meisten Mitglieder sind aus derselben Motivation zum Backen gekommen: Unzufriedenheit mit dem Brotangebot. Kerstin selbst leidet an Histaminintoleranz, Brot aus dem Supermarkt verträgt sie nicht. Mit ihrem selbstangesetzten, langgegorenen Sauerteigbrot aber hat sie keine Beschwerden. „Ich habe früher einmal zehn Kilo mehr gewogen und daher aufgehört, Kohlehydrate zu essen“, sagt sie. „Heute esse ich fast nur noch Kohlehydrate und habe eine tolle Figur. Es liegt nicht am Brot, sondern nur daran, wie es zubereitet wird.“

Noch immer greift Kerstin auf gekauftes Brot zurück, allerdings nur bei ausgesuchten Bäckern – so wie die meisten Gruppenmitglieder. In der Wiener Breadmania-Community hat besonders der Ströck-Feierabend einen sehr guten Ruf. Im Frühjahr 2018 fand hier daher der erste „Breadmania“-Stammtisch statt – ein Treffen, bei dem sich die Brotverrückten endlich mit Menschen austauschen können, die sie verstehen.

Text Tobias Müller
Fotos Kerstin Schlegel