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Das Croissant, ein echter Wiener

Das Croissant, ein echter Wiener

Die französische Backkunst, wie wir sie heute kennen, verdankt sich maßgeblich einem Wiener.

August Zang brachte das Croissant und den modernen Backofen nach Frankreich und sperrte die erste Edelbäckerei von Paris auf.

TEXT TOBIAS MÜLLER & FOTOS INGE PRADER

1838 übersiedelte der k. u. k. Offizier August Zang nach Paris und eröffnete dort eine Bäckerei. Er war wenige Jahre vorher zu Besuch in der französischen Hauptstadt gewesen, wo er sich über das dort übliche grobe, recht dunkle Sauerteigbrot ärgerte und das weiße, kleine Gebäck seiner Heimat vermisste – vor allem die Kipferln, die in Wien aus dem damals weltberühmten weißen Mehl aus Ungarn gebacken wurden. Zang witterte eine Marktlücke. Zang war zwar kein gelernter Bäcker, hatte aber ein wenig technische Chemie studiert und während seiner Zeit beim Militär ein eigenes Gewehr entwickelt – er besaß also ein gewisses technisches Verständnis.

Zudem brachte er bei seiner Übersiedlung geübte Bäcker mit. Für seine „Boulangerie Viennoise“ wählte er eine prominente Adresse: die Rue de Richelieu im Herzen von Paris, die damals als schickste Einkaufsstraße der ohnehin sehr schicken Stadt galt. Innerhalb weniger Jahre entwickelte sie sich zu einem so nachhaltigen Erfolg, dass „Viennoisserie“ bis heute in Frankreich der Oberbegriff für butteriges, fluffig-leichtes Gebäck ist. Zunächst verkaufte Zang vor allem an Exilösterreicher und die Rotschild-Bank, die jeden Tag einen eigenen Wagen schickte.

Bald aber entdeckte auch die Pariser High Society den schicken Laden und stand Schlange: Das Geschäft lief so gut, dass neidige Konkurrenten Rauchfangkehrer bezahlt haben sollen, damit diese zu Stoßzeiten bei Zang einkaufen. Die bezahlten Gesellen verdreckten mit ihrem Gewand die sauberen, feinen Kleider der Damen und die weißen Schürzen der Hausmädchen, die für ihre Herrschaften einkauften. Zang löste das Problem pragmatisch: Er zahlte den Rauchfangkehrern mehr als deren Auftraggeber……….

Das Croissant, wie wir es heute kennen und unser Pierre es bäckt, geht auf den Wiener August Zang zurück – auch wenn es sich seit Zangs Zeiten sehr gewandelt hat.

…..damit sie das Geschäft mieden. Welches Gebäck damals den größten Anklang fand, ist leider nicht überliefert. Sicher ist aber, welches die französische Backkunst am nachhaltigsten veränderte: das Wiener Kipferl, das Zang unter dem Namen „Kiffes“ vermarktete. Innerhalb weniger Jahre fand das Gebäck mit seiner charakteristischen Halbmondform zahlreiche Nachahmer – im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verschmolzen Zangs Form und die Pariser Liebe zum Blätterteig zu jenem Croissant, wie wir es heute kennen.

Bild: August Zang

ZANGS ERFOLG WAR SO NACHHALTIG, DASS WEISSES, WEICHES GEBÄCK IN FRANKREICH BIS HEUTE „VIENNOISERIE“ HEISST

Der erste Hipsterbäcker von Paris Seinen Erfolg verdankte Zang nicht nur seinem Gebäck, sondern auch seinem Marketinggenie: Er war einer der Ersten, der sein Geschäft mit Marmor und Spiegeln, edlem Holz, teuren Lustern und Vorhängen dekorierte. Bis dahin waren Pariser Bäckereien meist dunkle Lokale, die die Kunden gar nicht betraten, sondern ihr Brot einfach durch ein vergittertes Fenster entgegennahmen. Zangs Bäckerei wurde bald zum gesellschaftlichen Ereignis, wo sich die Reichen und Schönen trafen – und ziemlich genau das, was wir heute einen „Hipsterladen“ nennen würden.

Zudem brandete er seine Backwaren mit einem Stempel: „la main de l’homme n’y a pas touché“ stand darauf zu lesen – „von keiner menschlichen Hand berührt“. Tatsächlich hatte Zang die französische Backkunst modernisiert wie kaum ein anderer: Er dürfte der Erste gewesen sein, der in der Stadt automatische Teigknethaken verwendete, und er brachte als Erster den Dampfbackofen nach Paris – eine Erfindung, die angeblich aus Wien stammte und in Frankreich unbekannt war. Mithilfe von nassem Reisig am abschüssigen Ofenboden wurde im Backraum Dampf erzeugt – dieser erlaubte es dem Gebäck, viel schöner aufzugehen, knuspriger zu werden und eine prächtige Farbe anzunehmen.

Innerhalb weniger Jahre eroberte der „Wiener Ofen“ Frankreich. Französische Techniker entwickelten ihn weiter und automatisierten ihn – bis heute ist die Technik des Dampfeinschießens weltweit in Bäckereien Standard. Trotz seines großen Einflusses ist Zangs Wirken als Bäcker in Österreich bis heute fast unbekannt. Barbara van Melle,

Die Boulangerie Viennoise in der schicken Rue de Richelieu wurde bald zum gesellschaftlichen Treffpunkt.

Barbara van Melle durchforstete für ihr Buch über Zang Bäckerarchive nach alten Rezepten – etwa für mürbe Kipferl, wie er sie wohl gebacken hat.

…..Betreiberin des Backateliers und Mastermind hinter dem Wiener Backfestival Kruste und Krume, hat dem Mann nun ein Buch gewidmet. „Ich habe mich immer gefragt: was hat einen Mann wie Zang bewogen, von Wien nach Paris zu gehen und ausgerechnet den Franzosen das Backen beibringen zu wollen?“, sagt sie. „Bald habe ich aber gemerkt: Wien galt im 19. Jahrhundert in Europa als Alma Mater der Backkunst.“ Die Stadt war berühmt für ihr weißes Mehl, das aus ungarischem Getreide gemahlen wurde und als eines der besten der Welt galt, und für die Reinheit und Qualität der Bäckerhefe. In Paris etwa wurde im 19. Jahrhundert vor allem mit Brauerhefe und Resten der Bierpropduktion gebacken, was dem Brot oft einen bierig-vergorenen Geschmack gab. Aus der ganzen Welt reisten Menschen nach Wien, um hier das Bäckerhandwerk zu lernen.

„ LA MAIN DE L’HOMME N’Y A PAS TOUCHÉ“ – VON KEINER MENSCHLICHEN HAND BERÜHRT –, VERKÜNDETE ZANG STOLZ ÜBER DAS BROT UND GEBÄCK AUS SEINER MODERNEN BÄCKEREI.

Von Bauzerln und Girafferln „Außerdem gab es hier eine Vielfalt an Formen für Feingebäck wie sonst nirgendwo“, sagt van Melle. Während in den meisten anderen Ländern der große Laib regierte, wurden hier zahlreiche kleine Gebäcke serviert, nur um die 50 Gramm schwer, aber dafür kunstvoll geformt. Neben Handsemmeln und Kipferln etwa heute vergessene Formen wie das „Bauzerl“ oder das „Girafferl“. Für ihr Buch wühlte und las sie sich durch alte private Bäckerbibliotheken, das Bäckerinnung-Archiv und stieß nicht nur auf Rezepte, sondern auch auf Abbildungen des alten Gebäcks. Gemeinsam mit Bäcker Simon Wöckl buk sie viele der historischen Gebäcke nach. Ströck-Entwicklungsbäcker Pierre Reboul steuerte die modernen Viennoiserie-Rezepte bei – alle, die alten und neuen, finden sich ebenfalls in dem Buch.

Während seine Bäckerei fast vergessen wurde, ist Zang selbst durchaus im Gedächtnis geblieben. Nachdem er seine Bäckerei höchst gewinnbringend verkauft hatte, ging er zurück nach Wien und gründete die Tageszeitung „Die Presse“. Diesmal war der Wissenstransfer umgekehrt: Zangs Vorbild war die Pariser Tageszeitung „La Presse“. Deren revolutionäre Idee: Anzeigen nicht am Ende der Zeitung bündeln, sondern im ganzen Blatt und neben den Artikeln verteilen – ein Modell, das sich als mindestens so erfolgreich und nachhaltig erwies wie der Dampfbackofen.

VOM KIPFERL ZUM CROISSANT
Barbara van Melle hat für ihr neues Buch die unglaubliche Geschichte von August Zang recherchiert und zahlreiche vergessene Rezepte für das berühmte Wiener Gebäck des 19. Jahrhunderts ausgegraben. Ströck-Bäcker Pierre Reboul steuerte moderne Viennoiserie-Rezepte bei.

Pichler-Verlag, 192 Seiten, Deutsch, 2019, € 30,-

erhältlich im Buchhandel oder unter https://www.styriabooks.at/vom-kipferl-zum-croissant