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Bäcker von Welt: Die frischen, alten Laibe von London

Bäcker von Welt: Die frischen, alten Laibe von London

Tom Molnar im Portrait.

Vor mehr als zwanzig Jahren kam Tom Molnar aus den USA nach London und war so entsetzt über das Brotangebot, dass er selbst eine Bäckerei aufmachte. Heute ist Gail’s Bakery längst eine Erfolgsgeschichte mit etlichen Filialen – und hat mit dem Waste-less Loaf ein wunderbar nachhaltiges, köstliches Brot im Programm, das auch die Bäckerei Ströck inspiriert hat.

TEXT SEVERIN CORTI & FOTOS GAIL’S BAKERY

Die Geschichte von Londons erfolgreichster Sauerteigbäckerei beginnt mit einer Fischzucht in Florida. Die wollte Tom Molnar eigentlich eröffnen, nachdem er sein Ökologiestudium an der Elite-Uni Dartmouth absolviert hatte. Aber dann steckte die Agrarindustrie ihre Finger nach dem Hochbegabten aus. So machte Molnar erst einmal ordentlich Geld als Management-Consultant, die Fischzucht musste warten.

Ende der 1990er-Jahre wurde Tom Molnar in die Finanzmetropole London geschickt – und er war ziemlich perplex, wie schwierig es in der für ihre fantastischen Restaurants gefeierten Weltstadt war, an halbwegs gutes Brot zu kommen. Also tat er sich mit der jungen Bäckerin Gail Mejia zusammen, die sich darauf spezialisiert hatte, ein paar gute Restaurants mit handwerklich gefertigtem Brot zu versorgen. „Nach fünf Jahren als Lieferanten von Weltklasse-Sauerteigbrot wollten wir 2005 endlich unsere erste Bäckerei unter eigenem Namen eröffnen“, erinnert sich Molnar.

Der Start war schleppend, mittlerweile aber gibt es Gail’s Bakery auch schon in Oxford und Cambridge – und sogar im weltberühmten Wembley-Stadium gibt es einen Shop.

Gegen Verschwendung
Wer viel Brot verkauft, der muss auch viel Brot wegwerfen. Auch bei Gail’s Bakery stieg mit dem Wachstum des Unternehmens der Anteil an Altbrot, das am Abend, nach der Sperrstunde, wieder an die Bäckerei retour geliefert wird. „Mir hat es in der Seele wehgetan, dass dieses fantastische Brot vernichtet werden soll“, sagt Tom Molnar, „also haben wir nach Möglichkeiten gesucht, es auf eine Art einzusetzen, die seinem Wert gerecht wird.“

Daraus wurde der Waste-less Loaf, ein besonders saftiges, von herrlichen Röstaromen bestimmtes Sauerteigbrot, das zu einem guten Teil aus Altbrot besteht.

„ MIR HAT ES IN DER SEELE WEHGETAN, DASS JEDEN ABEND FANTASTISCHES BROT VERNICHTET WERDEN SOLL. DARAUS IST DIE IDEE FÜR DEN WASTE-LESS LOAF MIT EINEM ANTEIL AN ALTBROT ENTSTANDEN.“

Die Wiederbrot-Idee
Die Idee wurde auch Gerhard und Philipp Ströck zugetragen – von einer lieben Bekannten, die das Brot bei einem Londontrip kennen und lieben gelernt hatte. Die Ströcks waren von der Idee so begeistert, dass sie sich prompt an die Entwicklung eines eigenen „Wiederbrots“ machten, das der Verschwendung aus besonders geschmackvolle Weise Einhalt gebietet. Es ist in allen Ströck-Filialen zu haben.

Bei Gail’s wird inzwischen auch süßes Kleingebäck nach demselben Prinzip gebacken: Der Soho Bun ist ein süßes Weckerl, das mit Schokolade und den Abschnitten aus der Croissant-Produktion gemacht wird, das Schoko-Mandel-Croissant hingegen bekommt die Retouren der Pains au chocolat des Vortags als Basis. „Wir verwenden so gute Zutaten, es wäre einfach unmoralisch, daraus nicht die meisten Produkte zu fertigen“, sagt Tom Molnar, „und ganz besonders, wenn der Geschmack, wie in diesem Fall, sogar noch besser wird.“

Dass es auch in London mittlerweile eine ganze Reihe von Mitbewerbern gibt, die gutes, handwerklich gemachtes Brot als Geschäftszweig für sich reklamieren, sieht Tom keineswegs als Problem: „Im Gegenteil, ich bin überzeugt, dass dies auch unserem Business im Endeffekt nur guttut. Wenn jemand einmal echtes, gutes Brot gekostet hat, dann wird er das nach meinem Dafürhalten nicht mehr missen wollen. Und dann sieht es gut aus, dass er über kurz oder lang auch bei uns kauft.“

Mittlerweile verfügt Gail’s Bakery über mehr als 60 Filialen in London und Umgebung. Neben gutem Sauerteigbrot ist auch die Konditorei ein wichtiges Standbein des Unternehmens.