Von Neapel bis Istanbul, von Neu-Delhi bis Wien: Frisch gebackene, belegte oder gefüllte Fladenbrote gehören zu den beliebtesten und besten Essen der Menschheit. Warum eigentlich?
Illustrationen: Carina Lindmeier
tröck-Entwicklungsbäcker Pierre Reboul kommt aus Südfrankreich – und wie für so viele Südfranzosen ist eine seiner liebsten kulinarischen Kindheitserinnerungen die Pizza. „In Südfrankreich sind Pizzatrucks allgegenwärtig“, sagt er. „Als ich klein war, waren das vor allem Citroëns mit einem Holzofen auf der Ladefläche. Einer kam im Sommer immer zu unserem nächsten Strand. Um nicht so lange warten zu müssen, haben wir immer schon vorbestellt. Plastiktische, eine Flasche Rosé, eine frische Pizza – es war herrlich.“
Die Pizza ist zwar der berühmteste, aber bei Weitem nicht der einzige verehrte Fladen der Welt. Im Norden Frankreichs, dem Heimatland der Haute Cuisine, werden gern knusprige Flammkuchen geschlemmt, mit herrlich üppiger Crème fraîche, Speck und vielen frischen Kräutern; in Istanbul wird dem Lahmacun gehuldigt, einem ebenfalls hauchdünnen, im Feuer gebackenen Fladen, der mit gehacktem Lamm, Paradeisern und jeder Menge Kräutern gewürzt und eingerollt verspeist wird; und in vielen Teilen Asiens ist ein Essen ohne Pide, Naan und wie sie alle heißen undenkbar. Kurz: Jede Esskultur hat ihre eigenen Fladen – und sie werden stets inbrünstig geliebt.
Kein Wunder: Sie sind eine der unmittelbarsten Formen des Essens, ein belegtes Brot, frisch aus dem Ofen, feuerheiß mit den Fingern gegessen – und wenn sie mit Liebe gebacken sind, die vielleicht nobelste Form des Alltäglichen. Sie sind günstig, schnell gemacht und immer für einen da: spätnachts, weit weg oder dann, wenn das Geld knapp ist, gegen den Hunger und für den puren Genuss. Und sie wurden und werden nicht nur von den Rebouls besonders oft von und mit Kindern gegessen – und sind daher eben so oft Teil unserer schönsten Erinnerungen.
Pizza, Pide, Pinsa, Dürüm und all ihre Verwandten sind der gebackene Inbegriff dessen, wie Menschen die vergangenen zehntausend Jahre gegessen haben: viel Brot und ein bisschen was dazu. Ihre Vorläufer sind mindestens so alt wie die Landwirtschaft und wahrscheinlich noch ein gutes Stück älter: entstanden, als unsere Vorfahren das erste Mal Getreidebrei auf einen heißen Stein tropfen ließen und merkten, um wie viel besser er nachher schmeckte (und um wie viel nahrhafter er war!).
Lahmacun
ist ein mit Faschiertem (meist Rind oder Lamm), Paradeiser, Paprika und Kräutern dünn bestrichener Fladen aus Germteig, der im heißen Ofen binnen weniger Minuten knusprig gebacken wird. Vor dem Verspeisen wird er gern mit frisch gezupftem Petersil, dünn geschnittener roter Zwiebel und manchmal auch mit Paradeiserscheiben belegt und eingerollt. Ganz typisch für die Türkei, aber unter variablen Namen in der ganzen Levante verbreitet, wo Fladenbrote jahrtausendealte Tradition haben.
Naan
wird am indischen Subkontinent, aber auch in Zentralasien und, dank indischer Migranten, sogar auf den karibischen Inseln gebacken. Es ist ein Fladen aus Germteig, der mit warmem Wasser, Joghurt, Ghee (Butterschmalz) und Salz angerührt und im Tandoor, einem der ältesten Ofen der Welt, bei bis zu 500 °C binnen Sekunden gebacken wird. Dafür wird der Fladen mithilfe eines Kissens an die Innenseite des Ofens geklatscht, wo er sogleich bräunt und wilde Blasen wirft. Unverzichtbar zu indischen Currys und Grillgerichten, wird gern mit Knoblauch, Butter und anderen Gewürzen angereichert.
Luxus der Bescheidenheit
Von diesem heißen Stein läuft eine direkte Linie über die Tandoor-Öfen des Mittleren Ostens, bei denen der Teig immer noch direkt an die heiße Wand geklatscht wird, über einfache, gewölbte Lehmöfen zu den berühmten Pizzaöfen Neapels und schließlich hin zu den großen Elektroöfen in modernen Bäckereien. Einst waren belegte Flachbrote vor allem ein Armeleuteessen und oft auch ein Abfallprodukt: Die „Fosn“ etwa, die uralten burgenländischen Vorläufer der Golatschen, wurden oft aus Resten des Brotteigs gebacken, wenn der Ofen nicht mehr heiß genug für große Laibe war, und mit dicker saurer Milch oder Topfen gegessen. Die Elsässer Flammkuchen wiederum sollen ihre Geschichte als eine Art Temperaturtest begonnen haben: Bevor das wertvolle Brot in den Holzofen eingeschossen wurde, wurde mit flachen Teigfladen getestet, ob die Temperatur eh passte. Weil zu dem Zeitpunkt mitunter noch die Scheite im Ofen loderten, wurde das köstliche Ergebnis „Flammkuchen“ genannt.
Fladen von Weltruhm
Bis heute werden die allermeisten Flachbrote als schneller, günstiger Snack verzehrt – manche Fladen und ihre Bäcker haben es aber auch zu kulinarischem (Welt-)Ruhm gebracht. Vor Istanbuls guten Lahmacun-Läden stehen die Leute genauso Schlange wie vor Ferhat Döner (einem gefüllten Flachbrot) in Wien, und Netflix hat ausgerechnet der Pizza und ihren besten Bäckern eine ganze Staffel seiner Serie „Chef’s Table“ gewidmet. Denn: So simpel es ist, ein Flachbrot zu machen, so furchtbar schwer ist es, ein richtig gutes hinzukriegen.
Das liegt gerade in seiner vermeintlichen Einfachheit: Fladenbrote sind Essen, reduziert auf das Wesentliche, und bestehen oft aus so wenigen Zutaten, dass diese alle makellos sein müssen, damit das Ergebnis passt. Es braucht nur wenige Handgriffe, um sie zuzubereiten, die aber müssen ein Leben lang geübt werden, damit sie richtig sitzen. Entscheidend für den Erfolg ist vor allem der richtige Umgang mit dem Getreide.
Ausgerechnet die Chinesen (die dämpfen statt backen) haben das am deutlichsten in Worte gefasst. Sie teilen bis heute jegliche Art von Essen in zwei Teile ein: „Fan“, Getreide (heute meist Reis), und „Cai“, der gesamte Rest. „Fan ist die Wurzel von tausend Geschmäckern (…)“, schrieb der Dichte Yuan Mei, Chinas berühmtester Gourmet, noch im 18. Jahrhundert. „Die Reichen aber reden immer nur über Cai, und nie über Fan. Sie jagen Nebensächlichkeiten hinterher und vergessen dabei die Substanz – das ist wahrhaft absurd.“
Flammkuchen
sind uralte Bäckertradition im Elsass, wo der Meister, um die Temperatur zu prüfen, ein zu einem dünnen Fladen geformtes Stück Teig, den „Flammekueche“, einschoss. Wird traditionell mit Crème fraîche, Zwiebeln und Speck belegt, es gibt aber zahlreiche köstliche Varianten.
Pizza Margherita
ist die klassische, weltberühmte Pizza schlechthin und der Stolz Neapels. Ganz original wird sie aus langsam geführtem Teig mit pürierten Paradeisern („passata“), Olivenöl und Mozzarella oder Fior di Latte sowie frischem Basilikum obendrauf gemacht und im Holzofen bei 450 °C und mehr gebacken. Die Einheit aus luftigem, knusprigem, leicht angekokeltem Rand („cornicione“), fruchtiger Salsa und schmelzig zartem Käse ist aber auch ein Paradebeispiel dafür, dass ein Gericht unendlich viel mehr ist als die Summe seiner Teile. Das gilt freilich für alle hier vorgestellten Fladen.
Lángos
ist der mitteleuropäische Fladen schlechthin und wird nicht im Ofen, sondern ganz klassisch in Schweineschmalz knusprig herausgebacken. Dabei ist dies eine vergleichsweise
neue Abwandlung: Die ursprünglichen Lángos (von ungarisch „láng“ für Flamme) waren nämlich eine Art Flammkuchen, die der Bäcker im ausgehenden Ofen zum Genuss am selben Tag backte. Aber das ist lang vorbei, heute sind Lángos köstlich fettige Fladen, meist in Pflanzenöl frittiert, die mit Sauerrahm
und geriebenem Käse getoppt werden. Das resultiert in einer
sehr aufregenden Kombination aus heiß und kalt, knusprig und cremig, würzig und wohlig am Gaumen.
Manakish Za’atar
ist ein uralter levantinischer Fladen, der mit der Gewürzmischung Za’atar bestrichen und im brennheißen Ofen gebacken wird. Namensgebend ist das Kraut Origanum syriacum (Za’atar auf Arabisch), das mit Olivenöl, Pinienkernen, geröstetem Sesam, Salz und anderen Kräutern
vermengt wird. Gilt nicht zufällig als essenzielle Delikatesse
der Küchentradition der Levante.
It’s the Teig, stupid!
Kein Wunder, dass es für Fladen-Connaisseurs bis heute der Teig ist, der eine wirklich gute Pizza, ein außergewöhnliches Lahmacun ausmacht, und nicht die Auflage – die ist meist eher Würze als Substanz. Berühmte Pizzerien hüten daher ihre genauen Teigrezepte wie einen Schatz und erfolgreiche Tandoor- Bäcker würden niemals verraten, wie genau sie ihre Fladen backen, und Online-Heimbäckerforen sind voll von seitenlangen Diskussionen über den richtigen Teig.
Wer sollte also bessere Fladenbrote backen können als professionelle Bäcker? Genau das haben sich auch Pierre Reboul und das Team vom Ströck-Feierabend in der Burggasse gedacht. Dort werden seit heuer ganz besondere Flammkuchen gebacken, aus frisch gemahlenem Vollkornmehl, belegt mit Zutaten aus dem Ströck-Feierabend-Garten. Aber das ist eine andere Geschichte…