In Wien-Donaustadt kombiniert das Unternehmen Blün Fischzucht und Gemüsebau. Und will damit auch zeigen, wie Landwirtschaft der Zukunft aussehen kann. Wie das schmeckt, kann man etwa im Ströck-Feierabend kosten.
von Bernadette Bayrhammer
Es ist eine Frage, die immer wieder kommt: Schmecken die Paradeiser dann eh nicht nach Fisch? Die Antwort darauf ist natürlich nein oder, etwas pointierter: Schmeckt das Gemüse vom Biobauern nach Gülle? Eben. Genauso wenig haben die Paradeiser, Gurken oder Melanzani von Blün ein Fischaroma. Auch wenn sie mit Fischwasser gedüngt werden, genauer: mit dem Abwasser der Welse, die in den Fischbecken neben dem Gewächshaus schwimmen. Die Fische landen irgendwann ebenfalls auf dem Teller – bei privaten Fischliebhabern genauso wie in der Sternegastronomie oder beim Ströck-Feierabend.
Aber schön der Reihe nach. Blün – eine Wortschöpfung aus Blau und Grün – kombiniert am östlichen Rand von Wien genau das: Fischzucht und Gemüsebau. Acht Jahre ist es mittlerweile her, dass sich Stefan Bauer, Michael Berlin, Bernhard Zehetbauer und Gregor Hoffmann zusammengetan haben, um in Bauers Gärtnereibetrieb in der Donaustadt vorzumachen, wie eine Landwirtschaft der Zukunft aussehen kann – mit der ersten kommerziellen Aquaponikanlage in Österreich.
Was hinter der etwas sperrigen Begrifflichkeit steckt: Das Wasser, das regelmäßig aus den Fischbecken abgelassen wird, ist quasi die Grundversorgung für das Gemüse, das nebenan in Kokossubstrat gedeiht – bei Hobbyanlagen wurzeln Salat, Pflanzen oder Kräuter anders als bei Blün manchmal sogar direkt im Fischbecken. „Wir können extrem ressourcenschonend arbeiten“, sagt Blün-Geschäftsführer Lukas Gansterer. Wasser, das sonst im Kanal landen würde, wird für die Bewässerung genutzt – und die Ausscheidungen der Welse liefern den Gurken, Paprika und Melanzani die wichtigsten Nährstoffe. „Es ist ein Kreislaufsystem, bei dem ich auf wenig Platz viele Menschen mit Fisch und Gemüse versorgen kann, ganz lokal in Wien und für Wien. Und das ist genau das, was wir in Zukunft brauchen.“
Die Blüns, das sind Stefan Bauer, Michael Berlin, Bernhard Zehetbauer und Gregor Hoffmann – hier in ihrem Gewächshaus.
Leistbare Delikatesse
Es war diese Frage, die die Blün-Gründer – anfangs unabhängig voneinander – umtrieb: Wie sieht eine enkelfähige Landwirtschaft aus? Wie bringt man Nachhaltigkeit, Ökologie und Wirtschaftlichkeit unter einen Hut? Wie produziert man Lebensmittel bester Qualität, die gleichzeitig zugänglich und leistbar sind? „Diese Quadratur des Kreises haben wir, glaube ich, gut hingekriegt“, sagt Co-Gründer Gregor Hoffmann, Agrarkonsulent und, in eigenen Worten, „studierter Tomatenflüsterer“.
Sie funktioniert sogar so gut, dass Blün gerade kräftig gewachsen ist. Ein paar Hundert Meter vom ursprünglichen Standort auf Bauers einstigem Salatfeld – der immer noch das Hauptquartier des Unternehmens ist – hat man zuletzt ordentlich expandiert. Es gibt eine neue Fischhalle und ein neues Gewächshaus, die über den Sommer schrittweise in Betrieb genommen wurden. Rund 60 Tonnen Fisch können damit pro Jahr produziert werden: Das ist viermal so viel wie bisher.
„Dass wir uns auf den Wels konzentriert haben, war ein bisschen eine disruptive Innovation“, sagt Hoffmann. „In Europa hatte der nämlich bisher eher das Image von einem fetten, grundeligen Fisch. Aber bei uns schwimmt der in Hochquellwasser, er hat viel Platz, bekommt hochwertiges Futter und ist damit ein Wahnsinnsprodukt. Das hat auch die hochwertige Gastronomie sofort erkannt. Einer der ersten größeren Kunden damals war immerhin Sternekoch Silvio Nickol mit dem Palais Coburg.“
Prachtparadeiser dank der Düngung mit Fischabwasser? Ja, das geht.
Blün ist ein Kreislaufsystem, mit dem auf wenig
Platz viele Menschen mit Fisch und Gemüse versorgt
werden können – in Wien für Wien.
Kompromisslose Transparenz
Zumindest anfangs gab es auch Erklärungsbedarf. „Vor zehn, 15 Jahren war alles, was aus Aquakultur kam, irgendwie bäh“, sagt Hoffmann. „Aber da muss man aufpassen: Wenn in Thailand Mangrovenwälder weichen müssen für antibiotikagetriebene Shrimpsfarmen, ist das natürlich nicht zu befürworten. Wir haben unsere Kunden gewonnen mit kompromissloser Transparenz. Wir haben quasi offene Stalltür gemacht: Kommts rein, schaut, wie die Fische schwimmen, wie sie leben, was sie für ein Futter bekommen, bevor ihr sagt: ‚Das ist ja gar kein Teich, sondern nur ein Becken.‘“
Das Interesse daran war und ist groß: „Als alternativer Weg in der Landwirtschaft haben wir kurzfristig so etwas wie eine Art Heldenstatus gehabt“, sagt Hoffmann. „Wir haben in den ersten Jahren gleich 3.000 Besucher gehabt, das ging rauf bis zu 9.000 Besuchern, die da teilweise busweise zu uns nach Wien gekommen sind, um sich anzusehen, wie das funktioniert.“ Bis heute gibt es bei Blün (nach Voranmeldung) jeden Donnerstagvormittag Führungen durch die Aquaponikanlage: Es geht ins Glashaus, zu den Welsen und dann an den Verkostungstisch, wo man sich davon überzeugen kann, dass die Paradeiser nicht nach Fisch schmecken, sondern einfach: wie gute Paradeiser. Dass es den Fischen gut geht, kann man hier unter anderem daran erkennen, dass sie alle ihre Barteln haben: die charakteristischen Schnurrhaare, die ihnen unter anderem bei der Orientierung helfen.
Sie mögen es gerne dunkel, daher ist auch das Licht in der Fischhalle nicht grell, sondern gedämmt. Fünf bis sieben Monate verbringen sie hier in unterschiedlichen Becken, sie kommen als Winzlinge mit ungefähr zehn Gramm von Fischzüchter Gerald Hochwimmer aus Sigleß im Burgenland – und werden geschlachtet, wenn sie knappe anderthalb Kilo haben. Der nächste Innovationsschritt steht übrigens auch schon bevor: beim Fischfutter. Hier will Blün in Zukunft das Fischmehl durch Soldatenfliegenlarven
ersetzen. „Das ist zurzeit noch extrem teuer, wir werden es deswegen nach und nach machen müssen“, sagt Geschäftsführer Lukas Gansterer. „Aber wir haben jetzt die Größe, dass wir auch hier Pionierarbeit leisten können. Und ich bin der Überzeugung: Wenn nicht irgendwer damit anfängt, dann wird sich nie was ändern.“