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Nie ohne gutes Brot: Carlo Petrini im Interview

Nie ohne gutes Brot: Carlo Petrini im Interview

"Brot ist viel mehr als nur ein Grundnahrungsmittel."

So die Meinung von Slow-Food-Gründer und Nachhaltigkeitsikone Carlo Petrini. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, warum gutes Brot Zeit braucht und sich immer mehr junge Menschen fürs Backen begeistern.

INTERVIEW GEORGES DESRUES & FOTO SLOW FOOD

„Brot ist für mich auch ein Symbol für die Sehnsucht nach Geschmack.“

Carlo Petrini gründete 1986 in Italien Slow Food. Die Organisation setzt sich mittlerweile auf der ganzen Welt für nachhaltig, handwerklich und fair produzierte Lebensmittel ein

Geben Sie mir recht, wenn ich sage, dass es in Italien gar nicht so einfach ist, an gutes Brot zu kommen?
Absolut. In Italien haben wir wundervolle Lebensmittel, dazu gehört auch Brot. Allerdings ist es nicht so weitverbreitet wie in anderen Ländern, wie zum Beispiel in Österreich. Und in meiner Heimat im norditalienischen Piemont ist es ganz besonders schwierig, gutes Brot zu finden.

Wie erklären Sie das?
Vermutlich hängt es mit dem kollektiven Gedächtnis zusammen, mit der Erinnerung an eine Zeit, als Pasta für viele Italiener noch unerschwinglich war und sie fast ausschließlich
Brot zu essen hatten. Und das war dann auch von ganz miserabler Qualität. Und als sie sich dann endlich die Weizennudeln leisten konnten, wurde das Brot vernachlässigt. Bei uns
gibt es auch ein Sprichwort, das besagt: Reiche träumen Träume, Arme träumen von Brot. Es ist aber auch zu sagen, dass es nach wie vor bedeutende Ausnahmen gibt. Und dass man, je weiter man in Italien in den Süden kommt, besseres Brot findet.

„ WIE JEDES GUTE LEBENSMITTEL BRAUCHT AUCH GUTES BROT VIEL ZEIT. UND ZEIT IST GELD. DESWEGEN KÖNNEN KLEINE ERZEUGER UND ECHTE BÄCKER OFT NICHT MITHALTEN.“

Carlo Petrini

Dennoch werden auch einige süditalienische Brotsorten von Ihrem Verein Slow Food geschützt. Bedeutet das nicht, dass sie gefährdet sind?
Doch. In den letzten Jahrzehnten ist die Qualität des Brotes bei uns wie auch anderswo dramatisch gesunken. Die großen Handelsketten vertreiben industriell erzeugtes Brot und preisen es als frisch an. Doch in Wahrheit wird es aus in Fabriken erzeugten Teiglingen gebacken. Mit dem Preis und der kurzen Backdauer können handwerkliche Bäcker in der Regel kaum mithalten. Denn wie jedes gute Lebensmittel braucht auch gutes Brot viel Zeit. Und Zeit ist Geld. Deswegen schützen wir mit Slow Food handwerkliche Bäcker, indem wir ihr Brot und ihre traditionellen Backtechniken bekannt machen und die Qualität ihrer Arbeit kommunizieren beziehungsweise promoten.

In den letzten Jahrzehnten ist nicht nur seine Qualität gewaltig gesunken, Brot wurde vielmehr auch geradezu verteufelt, als ungesund und als Dickmacher angeprangert.
Das ist in der Tat eine völlig absurde Entwicklung. Wenn man bedenkt, welche große Mengen an ungesunden, zucker- und fetthaltigen sowie hochverarbeiteten und völlig unnatürlichen Lebensmitteln viele Leute heutzutage verdrücken, ist es kaum zu glauben, dass man sich ausgerechnet Brot als Sündenbock für unsere Ernährungsprobleme ausdenkt. Doch in den letzten Jahren hat sich auf dem Gebiet einiges getan, nicht nur in Ländern wie Österreich, sondern auch in Italien greifen immer mehr junge Leute wieder das alte Handwerk auf und backen richtig gutes Brot. Einige unter ihnen haben an der Slow-Food-Universität für Gastronomische Wissenschaft studiert, wo wir auch einen Brotbackkurs anbieten. Wir haben festgestellt, dass viele junge Leute geradezu eine Leidenschaft für echtes Brot entwickeln und sich für den Beruf des Bäckers begeistern. Und einen Markt für ihr Brot finden sie auch. Das ist ja wohl ein sehr gutes Zeichen.

Auch in den sozialen Medien posten sehr viele Leute Fotos von ihrem hausgemachten Brot, fast schon mehr als von ihren Katzen. Die Corona-Krise hat den Trend noch verstärkt. Wie erklären Sie das?
Brot wird oft als „Grundnahrungsmittel“ bezeichnet. In Wahrheit ist es aber viel mehr als das. Es hat auch einen sehr vielschichtigen, symbolischen Wert. Jener des Grundnahrungsmittels, des zum Überleben Notwendigen ist nur einer davon.

Welche sind die anderen?
Also für mich ist Brot auch Symbol für die Sehnsucht nach Geschmack. Denn wenn Sie genau darüber nachdenken, gibt es ja keine Notwendigkeit, Brot zu backen. Vom Nährwert her ist ein Brei aus Weizenkörnern oder -mehl und Wasser nicht viel ärmer. Dennoch hatte irgendwann in grauer Frühzeit jemand die brillante Idee, den Brei über Feuer zu backen, und hatte ihm damit einen betörenden Duft entlockt und einen tausendfach besseren Geschmack verliehen.

Und später kam dann auch noch Hefe dazu.
Ganz genau. Offenbar hat man im Nahen Osten und in Ägypten damit begonnen, dem Teig auch Hefe beizumengen, wodurch man höhere Bekömmlichkeit, aber auch eine appetitliche Erscheinung und vor allem eine delikate Kruste erreichte. Die Technik hat sich dann vom Nahen Osten über Griechenland auch ins alte Rom verbreitet. Dann ist da freilich noch die religiöse Bedeutung, etwa im Leib Christi. Leider wurden parallel zur Industrialisierung die größeren Brotformate von den kleineren verdrängt, zumindest bei uns in Italien.

Wieso bedauern Sie das?
Weil die wichtigste Symbolik des Brotes im Teilen liegt. Und kleine Brote viel eher für Individualismus stehen. Das italienische Wort „compagnia“ oder „compagno/a“ sowie das deutsche „Kumpane“ leiten sich vom Lateinischen „com“ und „panis“ ab – das sind jene Personen, mit denen man das Brot teilt. Und wir von Slow Food sind der Überzeugung, dass die drei großen Krisen unserer Zeit, nämlich Wirtschafts-, Umwelt- und Gesundheitskrise nur mit einem Ende des Individualismus und einem stärkeren Gemeinschaftssinn bewältigt werden kann. Das ist in unseren Augen die wohl bedeutendste Symbolik des Brotes.

„ WIR HABEN FESTGESTELLT, DASS VIELE JUNGE LEUTE GERADEZU EINE LEIDENSCHAFT FÜR ECHTES BROT ENTWICKELN UND SICH FÜR DEN BERUF DES BÄCKERS BEGEISTERN.“