Es gibt nichts Besseres für das Fest der Auferstehung, des Neubeginns und des Frühlings als Brot. Um das zu verstehen, muss man nicht religiös sein – es reicht, dass man schlicht einmal selbst bäckt.
TEXT TOBIAS MÜLLER | FOTOS LUKAS LORENZ | ILLUSTRATIONEN THOMAS MARTOS
Ostern ist das Fest des Brotes und des Backens. Überall werden die Rührmaschinen hervorgeholt und die Öfen angeworfen, auf dass der warme Duft von Osterbroten, frischen Striezeln und Pinzen, Reindlingen und Hefezöpfen die Häuser füllt.
Das ist nicht nur bei uns so, sondern in jeder Kultur, die Ostern feiert: Vom englischen Hot Cross Bun (eine Brioche mit Kreuzsymbol) über das für uns unaussprechliche finnische Pääsiäisleipä (ein süßes Brot mit Mandeln und Kardamom, das in einer zylindrischen Dose gebacken wird) bis hin zum Choerek aus dem Kaukasus (eine Art Striezel mit Sauerrahm, Butter, Eiern, Anis und Mahlab, einem Gewürz aus Kirschkernen) kennt und liebt jeder sein eigenes Osterbrot.
Der Teig erwacht zum Leben
Warum? Erstens, weil es köstlich schmeckt. Und zweitens, weil es nichts Passenderes als Brot gibt, um ein Fest der Auferstehung, des Neubeginns und des Frühlings zu feiern. Um das zu verstehen, muss man gar nicht religiös sein. Es reicht, dass man schlicht einmal selbst Brot bäckt.
Bäcker und Bäckerinnen werden nämlich regelmäßig Zeugen eines Wunders, zumindest wenn sie mit Hefe oder Sauerteig backen: Sie dürfen zusehen, wie der tote Getreidebrei plötzlich zu blubbern und zu schäumen und von innen aufzugehen – kurz, zu leben – anfängt. Einmal in den Ofen geschoben, dehnt er sich noch einmal aus, und aus dem ungenießbaren Teig wird plötzlich duftendes, flaumiges, knusprig-frisches Brot.
Brot war daher immer schon ein Symbol des Lebens und der Wiedergeburt. Die alten Ägypter dürften die Ersten gewesen sein, die Sauerteigbrot buken – vor rund 4.000 Jahren. Nach ihrer Überlieferung hatte Osiris, der Gott der Fruchtbarkeit und der Auferstehung, den Menschen diese Kunst gelehrt.
Im alten Rom wiederum, jener Zivilisation, die die ersten professionellen Bäckereien hervorgebracht hat, trug der durchaus zeugungsfreudige Göttervater Jupiter unter anderem den Beinamen „pistor“, der Bäcker. Auch die Bibel ist voll von Brot-Leben-Symbolik, von der Stadt Bethlehem, der Geburtsstadt König Davids und Jesus, deren Name auf Hebräisch „Haus des Brotes“ bedeutet, bis hin zum „Brot des Lebens“, wie sich Jesus selbst bezeichnete. Gefragt, wie wir Sterbliche uns denn das Himmelreich vorstellen können, gibt der Sohn Gottes gar eine für Nichtbäcker überraschende Antwort: wie einen Sauerteig.
So groß war das Wunder des lebendigen Teiges und der Gärung, dass Aristoteles, der große Denker der Antike, überzeugt war, dass Leben spontan in toter Materie entstehen könne – die folgenden 2.000 Jahre galt die sogenannte Spontanzeugung als ziemlich ausgemachte Sache. Jean Baptiste van Helmont, ein angesehener Chemiker und Arzt aus dem 17. Jahrhundert, dem wir das Wort „Gas“ verdanken, meinte gar, unter den richtigen Umständen könnten in Getreidesäcken Mäuse entstehen.
Erst mit der Entdeckung der Mikroorganismen und den Arbeiten von Louis Pasteur wurde die Theorie der Spontanzeugung nachhaltig widerlegt. Das heutige Wissen, dass es Hefepilze sind und keine göttliche Urkraft, die unsere Brote, Zöpfe und Striezel aufgehen lassen, hat diesem Vorgang nichts von seinem Zauber genommen.
Das tote Korn erwacht
Mindestens so magisch wie das Brot selbst ist bereits seine wichtigste Zutat, das Getreide. Stellen Sie sich vor, Sie wären einer der ersten Ackerbauern vor gut 9.000 Jahren im Nahen Osten und hätten keinen modernen Biologieunterricht genossen – oder ertragen, je nachdem. Jedes Jahr im Frühjahr könnten Sie aber beobachten, wie aus einem scheinbar toten Korn eine neue Pflanze sprösse, die wenige Monate später nicht nur ein, sondern gleich dutzende neue Körner trüge.
Sie hätten nichts weniger als das Wunder des Lebens gesehen. Getreide war daher auch seit Beginn der Landwirtschaft ein Symbol für den Kreislauf des Lebens, und seine Götter waren stets jene der Erde und der Fruchtbarkeit: vom oben genannten ägyptischen Osiris über die griechische Erdgöttin Demeter zur römischen Göttin Ceres, von deren Name sich das Wort
Cerealien für Getreide ableitet.
Hier bei Ströck wissen wir übrigens, dass Brot nicht nur ein wunderbares Symbol für Erneuerung und Wiedergeburt ist, sondern auch, dass es selbst wiedergeboren werden kann. Seit vergangenem Jahr backen wir unser Bio-Wiederbrot, für das wir Brot aus der Überproduktion vom Vortag mit in den Teig mischen und ihm so neues Leben einhauchen. Das
hilft einerseits, Lebensmittelverschwendung zu vermeiden, und schmeckt andererseits hervorragend.
Ganz abgesehen von der symbolischen Kraft: Brot in all seinen Formen hat noch eine sehr festliche Eigenschaft, deren Wert wir gerade in Zeiten wie diesen sehen: Es bringt Menschen zusammen und sorgt für Gemeinschaft. Nicht zufällig kommt das Wort Kumpan, der Gefährte, vom Lateinischen „com“ (mit) und „panis“ (Brot): der, mit dem ich Brot teile. Das gilt bei uns in der Bäckerei, wo viele Hände nötig sind, um frische Osterstriezel und Handsemmerln zu backen, genauso wie bei Ihnen zu Hause, wo sich Ihre Liebsten um den gedeckten Ostertisch mit all den köstlichen Osterbroten scharen. Ob es Striezel, Pinze, Pääsiäisleipä oder Choerek ist.