Wir werfen einen Blick in die Backstuben herausragender Bäcker in aller Welt. Diesmal: Jonathan Bethony, Vollkorn-Wunderknabe in Washington, D.C.
Jonathan Bethony mit seiner Frau und Geschäftspartnerin Jessica Azeez.
“DIE GLUTENFREI – BEWEGUNG WAR FANTASTISCH SIE HAT DAZU GEFÜHRT, DASS WIR BÄCKER ALLES HINTERFRAGT HABEN.”
Jonathan Bethony bäckt in seiner Bäckerei Seylou in der US-amerikanischen Hauptstadt ausschließlich Vollkornbrot und -gebäck, sogar seine Croissants sind aus reinem Vollkornmehl – er ist der Meinung, dass weißes Mehl „tot“ sei, nährstoffarm und geschmacklich weniger interessant. Das Besondere: Seine Vollkornprodukte schmecken tatsächlich richtig gut – so gut, dass Bäcker aus der ganzen Welt anreisen, um von Jonathan das Backen mit Vollkornmehl zu lernen. (Die Bäckerei Ströck holte ihn vor zwei Jahren nach Wien, aus der Zusammenarbeit ist der Laurenzio-Wecken Bio entstanden.) Jonathan versucht, so wenig Weizen wie möglich zu verbacken und stattdessen andere Getreidesorten wie Roggen oder Hafer zu benutzen; er mahlt sein Mehl selbst, formt alle Laibe mit der Hand, und bäckt sie schließlich im selbstgebauten Holzofen. Klingt nach Vergangenheit und altertümlichen Methoden? Im Gegenteil, meint Jonathan – das ist für ihn die Zukunft.
Was fasziniert Sie an Brot?
Wie etwas so Einfaches eine ganze Welt, ein ganzes Universum in sich tragen kann – sobald du beginnst, dich damit zu beschäftigen, ist es ein riesiges Thema. Und durch das Backen habe ich alle möglichen Lektionen gelernt und Muster gefunden, die auch für den Rest des Lebens Gültigkeit haben.
Können Sie mir da ein paar Beispiele nennen?
Wenn ich mit dem Teig arbeite, muss ich ganz genau auf seine Temperatur achten, auf die Luftfeuchtigkeit, darauf, wie das Wetter ist und wie stark ich den Ofen einheize. Ich muss aufmerksam sein gegenüber meiner Umwelt, geerdet, konzentriert. Je aufmerksamer, je wacher und präsenter ich bin, desto besser und konsistenter wird das Ergebnis sein.
Sie verwenden viele verschiedene Getreide für Ihr Brot – warum?
Wir müssen lernen, das, was uns die Bauern liefern, viel besser zu nutzen. Weißes Weizenmehl ist der ineffizienteste Weg, Land zu nutzen. Jede Form der Monokultur ist schlecht für den Boden und macht ihn anfällig für Krankheiten, braucht Unmengen an Dünger – das kann vernichtende Folgen haben. Ich kann daher nicht einfach Weizen kaufen. Ich muss verschiedene Körner kaufen, die der Fruchtfolge entsprechen. Viele der Bauern, bei denen wir kaufen, arbeiten ganz altmodisch und biodynamisch. Um diese Art der Landwirtschaft zu unterstützen, muss ich alles kaufen, was sie anbauen: ihren Buchweizen, die Senfkörner, die Gründüngung wie Hirse oder Sorghum. Es ist die Aufgabe des Bäckers, nicht immer nur das Gleiche zu tun, sondern Innovation und Vielfältigkeit anzustoßen!
Sie backen nur mit Vollkornmehl – wie schaffen Sie es, daraus trotzdem gute, luftige Brote zu machen?
Es ist das Resultat aus vielen erfolglosen Versuchen, Sturheit und einem ganzheitlichen Zugang zum Backen – vom Züchter, der die richtige Sorte aussucht, über den Bauern, der sie richtig anbaut, den Müller, der sie richtig vermahlt, bis hin zum Bäcker, der weiß, wie er mit dem Mehl umgeht. Man könnte sagen: Wir hören dem Mehl zu, wir gehen auf kleine Veränderungen ein. Jedes Korn, jedes Mehl ist anders, aber ein paar Punkte sind immer wichtig: Wir mahlen unser Vollkornmehl sehr fein, arbeiten mit sehr nassen Teigen, lassen sie lange rasten, formen sie sehr vorsichtig und backen sie in einem sehr heißen, starken Holzofen.
Ihr Brot kostet bis zu zehn Euro pro Laib, das ist ziemlich teuer – wie gehen die Kunden damit um?
Einige verstehen es, andere nicht, mögen das Brot aber trotzdem, und wieder andere werden richtig böse. Das ist einfach der tatsächliche Preis für das, was wir machen, ohne irgendwo Abkürzungen zu nehmen. Wir kaufen unser Getreide nicht von den Bauern, die am billigsten sind, sondern von jenen, die am ehesten so arbeiten, dass ihre Farm auch in mehreren Generationen noch gesunde Erde hat. Wir zahlen teilweise das Dreifache des normalen Preises. Was mir ganz wichtig ist: Wenn ein Kunde kommt, der kein Geld für Essen hat, sind alle Verkäufer angewiesen, ihm oder ihr das Brot günstiger abzugeben oder zu schenken. Wir arbeiten gerade daran, dass das diskret möglich ist.
Gab es eine Entwicklung in der Branche in den vergangenen Jahren, die Ihnen sehr gut gefallen hat?
Diese ganze Glutenfrei-Bewegung war fantastisch. Wir backen nicht mit glutenfreiem Mehl, aber die Bewegung hat dazu geführt, dass wir Bäcker alles hinterfragt haben, ganz speziell auch unsere eigene Arbeit. All die ungesunden Aspekte der Backindustrie, wie das unsere Böden angreift, welche Chemikalien für unser Getreide versprüht werden, was wir mit Gentechnik machen. – Das hat wehgetan, aber es war großartig. Ich habe das Gefühl: Brot ist zurück! Bäcker interessieren sich wieder für gutes Mehl, lange Fermentation, Vollkorn, alte Techniken.
Ist das, was Sie tun, auch auf einem größeren Level möglich?
Wenn die Nachfrage da ist, dann werden die Großen nachziehen. Man sieht bereits eine Veränderung in den Supermärkten. Eric Kayser etwa (Französische Bäckereikette, Anm.) hat unlängst in Washington aufgesperrt. Sein Eröffnungsbrot war ein Urkornlaib. Das ist großartig!