TEXT TOBIAS MÜLLER
Es kommt nicht alle Tage vor, dass man herausfindet, der Erbe einer fast ein halbes Jahrtausend alten Tradition zu sein. „Ich war sehr überrascht, das war wirklich ein glücklicher Zufall“, sagt Bäckermeister Gerhard Ströck bemüht nüchtern, und kann sich ein schelmisches Lachen kaum verkneifen. Als er vor zwei Jahren den Ahnenforscher Karl Fellhuber beauftragte, die Geschichte der Ströcks zu recherchieren, hatte er keine Ahnung, dass er auf eine Bäckerlinie stoßen würde, die mindestens bis ins Jahr 1540 zurückreicht.
Dass er so lange nicht wusste, wie alt die Backtradition in seiner Familie schon ist, liegt daran, dass es nicht die Ströcks waren, die immer schon Bäcker waren – sondern die Hüttlingers, die Familie seiner Großmutter väterlicherseits, wahrscheinlich eine der ältesten europäischen Bäckerfamilien.
Der Klosterbäcker
Die Hüttlingers kommen ursprünglich aus Schwabach in Bayern, das wiederum ganz in der Nähe des Ortes Hüttlingen liegt, von dem sie wohl einst in dunkler Vorzeit ihren Namen bekamen. Wie lange genau sie schon gebacken haben,
lässt sich nicht mehr gesichert sagen – mindestens jedenfalls seit 1540, als ein gewisser Kaspar Hüttlinger I. als Bäckermeister im Kloster Auhausen in der Nähe von Schwabach verbrieft erwähnt wurde. Von da an setzt sich die Reihe in Schwabach über neun (!) Generationen ungebrochen bis ins 20. Jahrhundert zu Otto Magnus Hüttlinger fort: Er war der letzte Hüttlinger Bäcker in Schwabach, er starb erst 1905.
Ottos kleinerem Bruder Johann Michael Hüttlinger ist es zu verdanken, dass die Familientradition trotzdem nicht ausgestorben ist, sondern immer noch weiterlebt. Er verließ Schwabach in den 1840er-Jahren und übersiedelte nach
Kittsee ins heutige Burgenland. Warum, ist bisher unerforscht. Wahrscheinlich musste er als Zweitgeborener – und damit als Nichterbe der elterlichen Bäckerei – sein Glück anderswo suchen.
Johann Ulrich Hüttlinger
– und zwar wahrscheinlich der Dritte oder Vierte –, war einer der Urahnen der Ströcks.
Ahnenforscher Fellhuber spekuliert, dass es den jungen Hüttlinger zunächst nach Wien verschlagen haben dürfte, wo er möglicherweise in Kontakt mit den Esterházys gekommen war, die wiederum gerade nach einem Bäckermeister für Kittsee suchten – 1851 jedenfalls zog er in ein Haus der Adelsfamilie in dem Ort und übernahm die ebenfalls in ihrem
Besitz stehende Bäckerei. Die Rechnung ging für alle Beteiligten auf: Nach Jahren der Misswirtschaft gelang es ihm, die Bäckerei nachhaltig zu verbessern.
Von Hüttlinger zu Ströck
Die Ströcks waren zu der Zeit bereits eine angesehene Familie im Ort und stellten Lehrer, einen Notar und andere Honoratioren, allerdings keine Bäcker. Als Johann Michael Hüttlinger 1851 Barbara Ströck in Kittsee heiratete, dürfte das seinem gesellschaftlichen Aufstieg und der Verankerung im Ort also durchaus gutgetan haben.
Es sollte noch weitere zwei Generationen dauern, bis es in Kittsee keine Bäckerei Hüttlinger mehr, dafür aber eine Bäckerei Ströck gab: Johann Michaels Sohn Gustav starb ohne eigene Söhne, somit erbten seine beiden Töchter Elisabeth und Auguste seinen Besitz, einige Grundstücke und Häuser, unter anderem auch die Bäckerei. Die Schwestern feierten wiederum bald eine Doppelhochzeit mit zwei Brüdern Ströck: Auguste mit Franz, Elisabeth mit Johann Ströck, Getreidehändler und Großvater bzw. Urgroßvater der aktuellen Bäckermeister Gerhard und Philipp Ströck. Der Rest ist österreichische Backgeschichte.