von SEVERIN CORTI
Das Ströck-Stammhaus in Kittsee war auch das Geburtshaus des einst weltberühmten Geigenvirtuosen, Komponisten und Dirigenten Joseph Joachim. Gemeinsam mit Prof. Rudolf Buchmann, dem global agierenden, ebenfalls aus Kittsee gebürtigen Musikmanager, bereitet Gerhard Ströck dem großen Sohn der Gemeinde jetzt ein würdiges Andenken. Wo Joachim einst zur Welt kam, sollen seine Werke endlich auch zur Aufführung gelangen.
Die erste, mit durchwegs positiven Erinnerungen verbundene Beziehung zur Familie Ströck knüpfte Rudolf Buchmann als Zehnjähriger im Jahr 1951. „Wir waren eine bettelarme Familie mit sechs Kindern, nachdem mein Vater als Invalide aus dem Krieg heimgekehrt war“, erinnert sich der heute 82-jährige einstige Konzertmeister der österreichischen Bundestheater (Volksoper, Burgtheater, Staatsoper) und international agierende Musikmanager. „Beim Vater von Gerhard Ströck habe ich immer Semmeln geholt, um sie in der Schule zu verkaufen und mir so ein paar dringend benötigte Groschen zu verdienen.“
Überhaupt hat Buchmann, der schon in den 1980er-Jahren etwa für die Wiener Philharmoniker deren großes Gastspiel in Japan auf die Beine gestellt hat, ganz viele schöne Erinnerungen an das Kittsee seiner Kindheit. „Es war unglaublich, wie viel Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft wir erfahren durften. Meine Familie war bettelarm, aber es wurde uns an allen Ecken und Enden ausgeholfen.“ Dazu gehörte auch, dass die Familie von Vater Ströck „auf einer regelmäßigen Basis“ mit Brot beschenkt wurde, wie Buchmann erzählt.
Rudolf Buchmann (r.) und Gerhard Ströck vor dem Geburtshaus Joseph Joachims.
Ein Festival für Kittsee
Nachdem der nunmehrige Professor dank eines Stipendiums des Landes Burgenland Musik studieren und Geiger werden konnte – was die Basis der internationalen Karriere legte –, wollte Buchmann „seinem“ Kittsee auch etwas zurückgeben. Seit 1978 organisiert er ehrenamtlich, ohne Honorar, das alljährlich stattfindende Pannonische Forum im Schloss Kittsee. Im Festsaal des Schlosses (wo einst Joseph Haydn eine seiner Symphonien zur Uraufführung brachte) finden hochkarätig besetzte Konzerte und Matineen statt.
Rudolf Buchmann und Gerhard Ströck kennen und mögen einander seit mehr als dreißig Jahren. Nachdem sich Ströck vor einigen Jahren des Stammhauses der Familie angenommen, den historischen Holzbackofen der Bäckerei ebenso renoviert hatte wie das denkmalgeschützte Haus als Ganzes, erwuchs aus der Freundschaft ein gemeinsames Vorhaben. Aber schön der Reihe nach.
Buchmann wusste nämlich aus Kindheitstagen, dass ebendiese Bäckerei das Geburtshaus eines ganz großen, in den vergangenen Jahrzehnten aber beinahe vergessenen Sohnes von Kittsee war. „Hier wurde im Jahr 1831 Joseph Joachim geboren, der einer der bedeutendsten Violinisten des 19. Jahrhunderts war, ein Dirigent und Komponist von Rang, ein enger Freund und Berater Johannes Brahms, Clara und Robert Schumanns oder auch Max Bruchs“, sagt Professor Buchmann. „Als Kind hatte ich von Joachims Nachkommen, die noch in Kittsee wohnten, eine meiner ersten Geigen geschenkt bekommen.“
Hochkarätige Sammlung
Ursprünglich regte der Professor nur an, ob Gerhard Ströck nicht wieder eine Gedenktafel am Haus anbringen wolle, um an den berühmten Musiker aus Kittsee zu erinnern. Die erste im Jahr 1911 noch auf Ungarisch verfasste Tafel war im Lauf der Zeit verloren gegangen. Mit der Renovierung der Bäckerei entstand aber die Idee, noch mehr für Joseph Joachims Andenken zu tun. Ein Raum des Geburtshauses wird in Zukunft museal genutzt. Gerhard Ströcks Sammlung historischer Artefakte, Erinnerungsstücke und Instrumente des Künstlers ist inzwischen auf über 50 Exponate angewachsen. Neben handschriftlichen Kompositionen und anderen Zeugnissen seines Werks soll in Zukunft auch eine beim Künstler Johannes Melichar in Auftrag gegebene Büste des Meistergeigers hier zu sehen sein.
Bei Kühen heißt es, dass sie besonders gute Milch geben, wenn sie beim Wiederkäuen klassische Musik hören dürfen. Man kann also gespannt sein, welchen Einfluss die Musik Joseph Joachims auf die Mikroorganismen des Brotes haben wird, wenn sie ihm im Backofen beim perfekten Aufgehen und Knusprigwerden hilft. Aber ganz ohne Scherz: Die Idee des Genius Loci, wonach die einzigartige Geschichte und Atmosphäre eines Ortes, sein ganz spezieller „Geist“, auch auf jene wirken, die sich in demselben aufhalten, ist an einem so kultivierten Ort wie der alten Bäckerei von Kittsee nicht von der Hand zu weisen.