Benoît Castel war Spitzenpatissier in einigen der besten Restaurants der Welt, bevor er Sehnsucht nach der Bodenständigkeit der Backstube bekommen und eine alteingesessene Boulangerie übernommen hat. Heute stellt sich „tout Paris“ bei ihm um fantastisches Brot an – und speziell um jenes, das er nach der Anleitung seines Jugendfreundes Pierre Reboul nach Ströck-Vorbild bäckt!
TEXT SEVERIN CORTI & FOTOS GUILLAUME CZERW, CLAIRE SEPPECHER
Als Benoît Castel vor ein paar Jahren die alte Holzofen-Boulangerie in der Rue de Ménilmontant im angesagten Viertel Campagne de Paris übernommen hatte, hatte der gebürtige Bretone bereits mehrere Jahre als Chefpatissier bei der legendären Sterneköchin Hélène Darroze absolviert.
Vor allem aber war er schon ziemlich weit herumgekommen, was – nicht unwesentlich – seinem guten Freund Pierre Reboul zu verdanken ist. Und der ist bekanntlich nach Jahren in der absoluten Topgastronomie schon seit geraumer Zeit Entwicklungsbäcker bei Ströck.
Aber schön der Reihe nach. Castel gilt heute als einer der angesagtesten Bäcker von Paris, der ein dezidiert nachhaltiges Konzept mit vergleichsweise wenigen, dafür außerordentlich guten Broten und toller Patisserie verfolgt.
Dass die Bäckerei in einem Trendviertel liegt, wo etwa auch Edith Piaf herstammt, erwies sich natürlich als Glücksgriff: In der charmanten Gegend mit ihren pittoresken kleinen Häusern leben junge Familien, die es sich leisten können, auf ausgesuchte Qualität zu bestehen.
Sein Signature-Brot „Pain du Coin“, ein kraftvolles Sauerteigbrot mit ganz wundervoller Kruste, bringt er mit einem Sauerteig, den er mit Quittensaft ansetzt, und sanft rauchigem, über Holzfeuer getrocknetem Salish-Salz auf den Weg. Castels würzige, luftige Baguettes sind natürlich sauerteiggeführt, die Croissants (selbstverständlich mit reiner Butter) für ihre ebenso luftige wie saftige Konsistenz berühmt.
Als mittlere Sensation gilt in Paris aber sein „Pain d’hier et de demain“, was sich als „Brot von gestern und von morgen“ übersetzen lässt. Bei Ströck gibt es deshalb einen besonderen Grund zur Freude, immerhin hat der prominente Bäcker sich dafür ganz explizit Ströcks Bio-Feierabend-Wiederbrot zum Vorbild genommen: Nach dem von Pierre Reboul entwickelten Prozess vermahlt auch Castel seit ein paar Jahren unverkaufte Laibe zu Bröseln, die in einem aufwendigen Verfahren in den neuen Teig integriert werden und, so Castel, einen ganz außerordentlich köstlichen Kontrast zwischen „extrem saftiger Krume und hyperkrosser Kruste“ ergeben und außerdem ein Brot entsteht, das „ganz besonders lange frisch bleibt“. Ströck-Kunden kennen das Phänomen und verstehen nur zu gut, warum die Pariser dafür Schlange stehen.
Gemeinsamer Werdegang
Castel und Reboul lernten sich als ganz junge Männer während der gemeinsamen Ausbildungszeit in der hochangesehenen Pariser Pâtisserie de l’Eglise kennen, wo sich Reboul den letzten Schliff holte, bevor er nach New York aufgebrochen war, um bei Starkoch Jean-Georges Vongerichten die Desserts zu verantworten. Benoît Castel blieb vorerst in Frankreich, um die Kunst der noblen Patisserie am Ort ihres Ursprungs hochzuhalten. Irgendwann aber überkam auch ihn die Lust nach der weiten Welt.
Pierre Reboul verschaffte ihm deshalb die Möglichkeit, bei Vongerichten in Manhattan einen ersten Eindruck der Küche eines Dreisternekochs zu bekommen, bevor er mit der inzwischen zur
„besten Köchin der Welt“ gekürten Hélène Darroze deren erstes eigenes Restaurant eröffnet hatte. Die junge Spitzenköchin, die heute auch in London ein Dreisternerestaurant betreibt, gilt als
Speerspitze der jüngeren Generation französischer Topköche.
Spitzengastronomie nur eine Station der erstaunlichen Karriere sein sollten, war trotz der hohen Ehren irgendwann gewiss: „Ich hatte einfach Sehnsucht danach, ein ordentlicher Bäcker zu sein“, sagt Castel. Der neue, explizit handwerkliche, auf ein reduziertes Angebot fokussierte – und im Gegensatz zu manchem Topkollegen ganz und gar auf Lebensmittelfarbe
und anderen Hokuspokus verzichtende – Zugang seiner Boulangeries kommt bei den Kunden gut an. Und gelebte Nachhaltigkeit, die exzellenten Geschmack verspricht, gilt in Paris überhaupt als Sensation.
Das Pariser Wiederbrot ist längst zum Lieblingsmitbringsel bei schicken Pariser Diner-Einladungen avanciert. In gewisser Weise darf man also durchaus ein bisserl von Paris
träumen, wenn man das nächste Mal eine saftig
knusprige Scheibe dieses Ströck-Laibes abschneidet